Eigentlich wollte ich mir ja eine witzige Bemerkung zum Versuch erlauben, die Schweizer Straßenschilder »geschlechtsneutral« zu gestalten: Der bisherige »Fußgänger« und der »Bauarbeiter« (»Achtung Baustelle«) sollen, schrieb eine Zeitung, durch »Strichmännchen« ersetzt werden.
Was ja so nicht geht, bitte schön – es müssten Strichfigürchen oder Strichpersönchen sein, denn rasch kam ich darauf, dass alles viel komplizierter ist und ich quasi nur die Spitze oder Spitzin des Eisbergs oder der Eisbergin wahrgenommen hatte.
So hat man in der Stadt Bern festgelegt, dass es nicht mehr »Vater« oder »Mutter« heißen soll, sondern »das Elter« (oder »das Elternteil«). Oder es hat die Schweizerische Eidgenossenschaft in einem 192 Seiten starken Leitfaden (»geschlechtergerechte sprache« überschrieben), unter vielem anderem mehr erkannt: »Grammatisch ist "wer" männlich. Dies erkennt man daran, dass Pronomen, die sich auf wer beziehen, in der männlichen Form stehen.«
Und so geht es weiter.
Manche Hinweise mögen dabei ja mehr als bloße Spitzfindigkeiten sein – ein weiteres Beispiel aus den 192 Seiten: Mit der Formulierung, »Christa Wolf ist eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts«, hält die Schweizerische Eidgenossenschaft fest, sei »Christa Wolf nur in Bezug auf die schreibenden Frauen eine der bedeutendsten, nicht aber in Bezug auf die Gesamtheit der schreibenden Männer und Frauen.« Folglich müsse es heißen: »Christa Wolf gehört zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen und Schriftstellern des 20. Jahrhunderts«, oder: »Christa Wolf gehört zu den bedeutendsten Literaturschaffenden des 20. Jahrhunderts.«
Mitunter führt der Spracherneuerungseifer indessen auch in die Irre. So empfiehlt die amtliche Schweiz, nicht länger die Formulierung zu verwenden: »Die Frau betreut die Kinder, und der Mann geht einer Erwerbsarbeit nach«, sondern besser schreibe man doch: »Die Eltern kümmern sich gemeinsam um die Kinder und sind beide erwerbstätig.«
Natürlich ist sofort klar (sogar mir als Mann), was gemeint ist, aber der Inhalt der beiden Sätze ist dennoch nicht identisch. Im ersten Fall arbeitet die Frau in jedem Fall zu Hause und der Mann außerhalb des Hauses – im zweiten bleibt das offen.
Mir fiel nach langen Überlegungen und Lesestunden eines vor allem auf: In den Kantonen, in vielen Hochschulen, auch in Städten gibt es Gleichstellungsbüros und sie alle haben unter anderem Leitfäden produziert – eventuell gemeinsam oder doch hoffentlich einigermaßen koordiniert, aber immerhin: Überall wurde und wird noch eine persönliche Note hineingebracht – und als steuerzahlende Person männlichen Geschlechts beginne ich mir die alte Frage zu stellen: »Wer soll das bezahlen?«
Ist natürlich grässlich gemein und sowieso falsch, dass man als Mann das fragt – denn ich lese andernorts: »Eine geschlechtergerechte Sprache ist kein zweitrangiges Problem für unsere Gesellschaft. Dass sie sich noch nicht durchgesetzt hat, liegt einerseits an der Angst der Männer vor Machtverlust, andererseits daran, dass die Frauen die sexistische Alltagssprache und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu einem hohen Grad ebenfalls verinnerlicht haben.«
Auch dies habe ich auf meiner Suche nach flammenden Protesten gegen den zum Verschwinden verdammten arbeitenden Bauarbeiter männlichen Geschlechts auf den schweizerischen Straßentafeln zur Kenntnis genommen. Mann schweigt, denn Mann hat keine Angst vor Machtverlust, höchstens davor, dass uns dereinst die Probleme ausgehen.