11 Juni 2010

Martin Andreas Walser: «Trapeznummer ohne Netz»

Still und heimlich hat er vier Bücher geschrieben, derzeit arbeitet er am fünften, seinem dritten Roman, der im dritten Quartal 2010 erscheinen soll: Martin Andreas Walser erzählt in «Der Anschlag» die Geschichte eines mutmasslichen Attentats auf den amtierenden Bundespräsidenten, aber auch von den privaten Problemen und Sorgen, die den Menschen an diesem schicksalhaften Tag letztlich viel näher stehen.

«Ein eigentlicher Kriminalroman wird es nicht», lacht Martin Andreas Walser, «obwohl die Geschichte durchaus auch so erzählt werden könnte.» Im neuen, seinem dritten, in einer nicht näher definierten näheren Zukunft angesiedelten Roman geht es zwar – auch – um den vermeintlichen Anschlag auf einen amtierenden Bundespräsidenten. Weitaus gewichtiger ist allerdings die Frage, welche allenfalls voreiligen Schlüsse im Zeitalter der sekundenschnellen Informationsverbreitung gezogen werden. Walser zeigt nicht nur auf, wohin das führen kann, sondern macht auch deutlich dass der Vorfall die Menschen kaum interessiert, da ihnen persönliche Probleme und Sorgen näher stehen.

Martin Andreas Walser: «Als Jugendlicher erlebte ich, wie bei der Nachricht von der Ermordung John F. Kennedys die Welt stillzustehen schien. Mittlerweile findet eine zunehmende Zahl wichtiger Vorgänge bis hin zu eigentlichen Katastrophen nur noch ganz kurz unser Interesse. Einerseits, da wir sofort von einer nächsten Informationswelle überflutet werden, und andererseits, weil wir dem Staat lethargisch und desinteressiert gegenüberstehen.»

Der Rückzug auf das Private, Überschaubare sei, so Walser, die viel beobachtete Folge. «Mit seiner Abkehr vom Staat, seinem Wegschauen, seinem Desinteresse gegenüber allem, was auf politischer Ebene läuft, wird der Mensch aber immer mehr zu einem Spielball der Mächtigen», diagnostiziert der seit über 30 Jahren oberhalb des Bodensees lebende Schweizer Autor.

Schlüsselerlebnis Lissabon
Der Rückzug ins Private und das Ausbrechen aus dem bisherigen Leben waren bereits in den beiden anderen Romanen Walsers die zentralen Themen. In «Vom Leben» zieht sich der Protagonist H. M. in die Abgeschiedenheit der Berge zurück, während gleichzeitig der Ich-Erzähler, auch er einer, der alles hinter sich lassen will, in Lissabon eine neue Heimat und eine neue Liebe zu finden scheint.

«In Lissabon habe ich vom journalistischen zum belletristischen Schreiben zurückgefunden», erzählt dazu Martin Andreas Walser, «nachdem ich mir schon seit meiner Jugend wünschte, die Zeit zu finden, um Romane und Erzählungen zu schreiben.» Bei mehr als einem halben Dutzend Aufenthalten sind nach «Vom Leben» auch weite Teile seines zweiten Romans «UnGlück» in Lissabon entstanden.

Wirkt «Vom Leben» aufgrund der «ursprünglichen Tagebuchform», wie Martin Andreas Walser verrät, noch ziemlich sperrig, so gewinnt in «UnGlück» der Erzählfluss an Bedeutung. «Der Roman geht auf eine Begegnung in London zurück, die ich vor vielen Jahren in einem griechischen Restaurant hatte: Ich sah einen weisshaarigen Mann mit einer jungen Begleiterin, vermutlich ein Professor mit einer Studentin, und gleich hat sich eine Geschichte in mir zu formen begonnen.» Über zehn Jahre ging es, bis daraus ein Buch geworden ist, das in der Konsequenz der Ereignisse – zurück nach Lissabon führt.

«Kleine Schreibübungen»
Zwischen den Romanen hat Martin Andreas Walser je eine Erzählung veröffentlicht – «kleine Schreibübungen», wie er sie nennt. In ihnen bildet die Liebe, der auch in den Romanen ein grosser Stellenwert zukommt, das Hauptmotiv. In «SehnSucht» (2009 auf Rhodos entstanden) lässt sich ein liebeskranker Mann fernab seiner Heimat nieder, da ihm das verzehrende Sehnen zur Sucht gerät. In «Herzbluten» – Walser kehrt darin in die Berge zurück – erhält ein abgeschieden lebender Mann den zufälligen Besuch einer Frau, die aufs Haar seiner früheren Geliebten gleicht, wobei sich auch diese Geschichte überraschend entwickelt.

Frei von Zwängen
Martin Andreas Walser hat die bisherigen vier Bücher ohne Verlag herausgebracht, und so dürfte es auch beim fünften bleiben. «Ich stand in meinem beruflichen Schreiben so viele Jahre unter Termin- und Umfangdruck, dass ich mir bei meinen Büchern alle Freiheiten bewahren wollte», sagt Walser. Walser: «Es ist gewissermassen eine Trapeznummer ohne Netz.»

Hat er keine Probleme damit, den Namen eines berühmten Kollegen zu tragen? Martin Andreas Walser lacht: «Verwechslungen sind wohl unvermeidbar. Doch dies war schon so, als ich noch keine Bücher schrieb. Manchmal ergeben sich daraus amüsante Erlebnisse.»

Für die Zeit nach «Der Anschlag» gibt es bereits weitere Pläne. Eventuell wird darin der Polizist Konstantin Röthlisberger, der zum Schluss des Buches pensioniert wird, wieder eine tragende Rolle übernehmen. «Wir werden sehen», sagt Martin Andreas Walser, «es schwirren so viele Geschichten in meinem Kopf herum, dass ich noch gar nicht weiss, welche ich als nächste erzählen soll.»

«Vom Leben» (ISBN 9-783837-070996), «SehnSucht» (ISBN 9-783839-115855), «UnGlück» (ISBN 9-783839-134382) und «Herzbluten» (ISBN 9-783839-162903) sind auf Bestellung in jeder Buchhandlung erhältlich. «Der Anschlag» erscheint im dritten Quartal 2010.