21 Februar 2010

Die Arbeit gerät zur Schreiborgie

Die Arbeit an meinem neuen Buch wird zur eigentlichen Schreiborgie, eine Orgie der Wörter und Sätze. Ich vermag es nicht anders zu erklären: eine riesige Lust am Wort, an Situationen, an noch mehr Wörtern. Ich schwelge, schweife ab, hole aus, immer mehr drängt auf mich ein. Vermutlich werde ich zum Schluss diesmal mehr als bloss ein paar unzusammenhänge Teilstücke übrig haben, die im Verlaufe der Zeit der "Delete"-Taste zum Opfer gefallen, aber natürlich nicht verloren sind.

13 Februar 2010

Der Zufall

»Immerfort sprecht ihr davon, dass ihr mich erwartet habt, schon vorhin, in der Kneipe. . .«

»Und so war es, mein Sohn, genau so war es. Es ist alles niedergeschrieben in dem Buch, das der Pfarrer verschlossen in seinem Schrank aufbewahrt. Aber der Alte, jener, der vorhin in der Ecke sass, er hat es gesehen, als er jung war, und er hat darin gelesen. Also hat er uns in den letzten Wochen, da er aufgrund dieses Studiums wusste, dass die Zeit gekommen war, mehrmals täglich ermahnt, es nicht zu vergessen: dass Du in unser Leben treten und deine Aufgabe hier bei uns übernehmen würdest.«

»Das ist absurd«, stösst Giusep hervor, »denn ich bin rein zufällig in dieses Dorf gekommen.«

»Den Zufall gibt es nicht, mein Sohn.«

(Schnipsel aus dem in Entstehung begriffenen neuen Roman, 2010/Martin Andreas Walser)

01 Februar 2010

Otto, der stärkste Mann der Welt

»Ich möchte«, gab Otto, der stärkste Mann der Welt, seinen Herzenswunsch sogleich preis, »die Eröffnungsnummer haben.«

Niemand war darob erstaunt oder gar erbost: Otto, der stärkste Mann der Welt, brachte dieses Anliegen Jahr für Jahr an dieser Stelle ein und hatte es doch noch nie geschafft, erhört zu werden. Stets war er übergangen worden, hatte gemurrt und geknurrt und sich dann in sein Schicksal gefügt: Einmal, irgendwann einmal würde es so weit sein, auf den Knien würde man ihn bitten, die Eröffnung zu übernehmen, und dann . . . ja, dann . . . würde er dankend ablehnen.

Oder doch nicht?

Otto, der stärkste Mann der Welt war sich unsicher, wie er reagieren würde und liess die schwierige Frage deshalb ruhen, da er die Entscheidung wahrscheinlich ohnehin erst am Sanktnimmerleinstag zu fällen hätte und vielleicht nicht einmal dann.

(Unvollendetes weiteres Schnipsel aus meinem nächsten Roman)